Es ist schön hier, ja es ist wirklich schön hier. So ging es mir durch den Kopf, während mein Blick über eine weite, saftige Wiese flog. Die Sonne knallte mir in den Nacken, wodurch ich mich wohlig warm fühlte, aber irgendetwas war an dieser Idylle trügerisch. Trotzdem würde ich hier nicht weg wollen. Zwar war da nur ein großer Baum direkt vor mir und sonst nichts, aber es war schön hier. Ich wusste nicht mal, wie ich her gekommen bin, aber es war einfach nur angenehm. Wenn ich mich recht erinnere, war das letzte, was ich gesehen hatte, zusammenbrechende Wände, also war es hier doch deutlich angenehmer. War ich etwa schon tot? War es deswegen so warm in meinem Rücken? Gut möglich eigentlich. Ich versteh das alles nicht so ganz, hier ist niemand, aber es fühlt sich trotzdem angenehm an. Vielleicht war es ja sogar gut, dass ich tot war… Nunja, eigentlich konnte ich gar nicht sagen, ob ich tot bin oder nur träume, aber wie sollte ich den in solchen Zeiten angenehme Träume haben, ich meine man lebt in seinen Träumen ja das wieder, was man vorm einschlafen erlebt hat, dass weiß doch mittlerweile jedes Kind.
Weiterhin verwundert stand ich einfach nur auf der Stelle und guckte den großen Baum an, als die Wärme in meinem Rücken plötzlich zu einer Art feuchten Wärme wurde und im Nächsten Moment spürte ich nur, wie der Boden unter mir wegbrach, während mein Kopf schmerzhaft zu pochen begann. Als ich den Halt unter meinen Füßen verlor, merkte ich, wie der Himmel sich schwärzte, während mein Körper von roter Flüssigkeit verschlungen wurde. Panisch schlug ich um mich, nach Luft ringend, bevor ich im Moment vor meiner innerlichen Bewusstlosigkeit meine Augen aufriss… und mich an einem anderen Ort wiederfand.
Ich musste etwas zwinkern, bis ich bemerkte, dass mehrere Felsbrocken und Wandstücke über mir aufgetürmt waren, lediglich ein kleiner, schwacher Lichtstrahl durch ein Loch auf mich fallend. Wegen der Ausrichtung schlug er mir direkt in das rechte Auge, was mich dazu brachte, meinen Kopf zur linken Seite zu wenden, während ich mir meinen Kopf mit der rechten Hand abwischte. Meine Hand war also nicht getroffen, aber als ich dann einen Blick auf meine Hand warf, wurde mir Mulmig. Sie war blutverschmiert, wahrscheinlich fühlte ich mich deswegen auch so benebelt, weil das ja dann schließlich eine Kopfverletzung war.
Meine Hand wegziehend, bemerkte ich, wie mein anderer Arm fast vollständig von einem Felsen bedeckt war. Nein, er war nicht nur verdeckt, er wurde abgedrückt, zerquetscht.
Es dauerte keine ganze Sekunde, da stiegen mir die Tränen bereits in die Augen und ich fing an, mich hektisch auf dem Boden herum zu wälzen, auch wenn ich mich kaum bewegen konnte. Das meine Beine nicht betroffen waren, war schön zu sehen, aber meinen Arm konnte ich noch nicht mal mehr wirklich fühlen. Ich wollte mich im Moment nur befreien, während ich nur das feuchte, aber dennoch warme Blut in meinem Gesicht und an meinem Rücken spürte.
„Hilfe“, wimmerte ich in mich hinein, nachdem ich es aufgegeben hatte, mich herauszurollen, weiterhin weinend auf meinen Arm guckend. Unter dem Arm konnte ich auch eine Blutpfütze sehen, aber diese war nicht sonderlich groß. Wahrscheinlich hat der Stein schon die Blutung gestoppt… oder die Pfütze war auf der anderen Seite größer. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, aber was sollte ich hier unter Steinen schon noch großartig machen. Wahrscheinlich würde ich hier einfach sterben, also was machte es schon noch für einen Unterschied.
Die Verzweiflung in mein Gesicht geschrieben versuchte ich, die Steine so bewegt zu bekommen, dass ich wenigstens die Chance hätte, mich hier raus zu kämpfen, aber da mein einer Arm vollkommen verschüttet war, bestand dafür so oder so keine wirkliche Hoffnung mehr. Trotz allem griff ich an das kleine Loch und versuchte dieses etwas auszuweiten. Vielleicht war ja noch jemand da und könnte mir helfen oder möglicherweise würde ja irgendein Wunder passieren.
Schwächlich versuchte ich das Loch auszuweiten, als ich plötzlich einen lauten Knall nicht in allzu weiter Ferne wahrnahm. Im nächsten Moment spürte ich plötzlich, wie der Boden unter mir begann zu rütteln, bevor das Loch sich ausweitete, als Schutt zur Seite fiel und eine, Maria sei Dank, leichte Steinplatte mir auf die Magengrube schlug. Ich spuckte etwas, als ich merkte, wie der Felsbrocken, der meinen linken Arm blockierte, leichter geworden war. Vorsichtig schob ich den Stein von meinem Bauch, bevor ich mich versuchte aufzurichten und auch wenn es für mich wundersam wirkte, hatte das sogar funktioniert. Mein Blick fiel direkt zur linken, wo mein befreiter Arm war. Selbst durch den Ärmel konnte ich das Blut sehen und alle freien Stellen wirkten verschrammt und auch irgendwie tot.
Das tat jetzt jedoch nicht zur Sache, schließlich war ich frei. Hallo! Ich habe mich hier rausgerettet, auch wenn mich wahrscheinlich irgendein Blindgänger gerettet hat.
„Hallo?“, fragte ich mit schwächlicher Stimme, bevor ich spontan auch direkt in einem Hustenanfall ausbrach und mir die rechte Hand vor den Mund hielt, während mein linker Arm weiterhin regungslos nach unten hing. Ich musste mich etwas nach vorne krümmen, während der Schmerz mir durch die Lungen stach. Aber was sollte ich schon erwarten, ich lag hier die ganze Zeit verschüttet auf dem Boden und wusste nicht einmal, wie gut oder schlecht es mir grade ging.
Es hatte zwar einen Augenblick gedauert, aber langsam legte sich der Anfall wieder und ich sackte etwas zusammen, mir etwas an den Hals packend und noch ein wenig spuckend. Im Anschluss versuchte ich jedoch erst einmal wieder auf die Füße zu kommen. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben. Acht. Neun. Zehn. Nachdem ich ruhig herunter gezählt hatte versuchte ich wieder auf die Beine zu kommen, oder besser gesagt erst einmal auf die Knie zu kommen und das war schon ein Kraftakt an sich. Wahrscheinlich hatte ich hier länger gelegen als ich es mir erhofft hatte. Aber mit etwas Abstützhilfe vom Boden klappte das auch irgendwie. Aber jetzt kam auch schon der schwere Teil der Aufgabe. Vorsichtig packte ich mit der rechten Hand nach einem der Steine, um meinen Körper anzuheben. Mein Atem war flach, während ich langsam aber sicher wieder auf die Füße kam. Wirklich sicher war mein Stand aber überhaupt nicht.
Zittrig machte ich ein paar Schritte aus dem Trümmerhaufen und guckte an mir herab. Mein Pullover war zerfledert und die Armwärmer waren auch ordentlich zerfledert, der Rock zwar heile, aber dafür konnte ich die ganzen Holzsplitter in meinen Beinen sehen. Sie waren weder groß, noch saßen sie tief, aber das änderte nichts daran, dass meine Beine trotz allem schmerzten, grade weil sie mein, wenn auch nicht sonderlich schweres, Gewicht tragen mussten. Vorsichtig machte ich ein paar weitere Schritte, einen nach dem anderen, bevor ich mich an eine der bröckelnden Wände stützte.
Verwundert guckte ich durch den Raum, während ich meinen Rücken an die Wand drückte, versuchend, meinen Körper aufrecht zu halten. Ich musste mir auf die Zähne beißen, weil nicht nur meine Beine schmerzten, sondern mein Kopf noch immer am pochen war. Ich könnte zwar eigentlich heulen, schließlich war ich ja scheinbar hier alleine, aber ich wollte jetzt nicht auch noch losheulen. Schließlich hätte noch deutlich schlimmeres passieren können, wirklich schlimmes ist mir eigentlich noch überhaupt nicht passiert.
„Mama?“, versuchte ich zu rufen, doch mehr als ein schwächliches Jammern entkam meiner Kehle nicht,
„Bist du hier? Mama, antworte mir.“Angespannt, obwohl, eher verängstigt, huschte mein Blick nun etwas schneller durch den Raum, als meine Augen an einem scheußlichen Anblick festhingen. Jegliche Farbe wich mir aus dem Gesicht, während mein ganzer Körper am Zittern war. Da war meine Mutter… mit einem spitzen Holzpfosten in ihrem Brustkorb… und eines der Beine fehlte. Doch weinen konnte ich noch nicht, sprechen aber auch nicht wirklich, während ich langsam auf den Körper zukam, welcher förmlich an die Wand genagelt wurde.
„Yuri“, stammelte die Stimme meiner Mutter schwächlich, nein, fast kränklich, während sie etwas Blut ausspuckte, „Bist du das?“
Als ich hörte, wie meine Mutter meinen Namen sagte, schwand für einen Moment der ganze Schmerz in meinem Körper und ich kam schneller auf meine Mutter zu gelaufen, bis ich diese in den Arm schließen konnte, da ich nur einen Arm bewegen konnte, als die Tränen bereits wie ein Wasserfall aus meinen Augen liefen und ich nahezu hysterisch am Schniefen war.
„Mama“, jammerte ich, während meine Mutter versuchte, ihren Einen Arm anzuheben, um mich zu beruhigen, doch höher als der Rücken kam sie nicht, weshalb sie lediglich über diesen streichelte und trotz ihrem Zustand ein Lächeln auf den Lippen hatte. „Yuri… du packst das schon“, flüsterte die Frau leicht krächzend, aber doch irgendwie fröhlich klingend, „Aber ich kann nicht mehr…“
Geschockt riss ich die Augen auf und guckte meiner Mutter in die Augen, welche langsam an Ausdruck verloren. Eine neue Schar Tränen fuhr mir in die Augen und ich presste mein Gesicht an die Brust meiner Mutter, laut schluchzend und weinend.
„Du kannst mich doch nicht hier alleine lassen“, stotterte ich verzweifelt und rüttelte etwas an ihrer einen Schulter,
„Ich will nicht alleine sein! Du kannst nicht einfach so gehen!“, wimmerte ich weiter, bevor ich etwas locker ließ und einfach nur weiterheulte. Den ganzen Schmerz in meinem Körper spürte ich nicht, lediglich den, der mir auf der Seele lag, während ich spürte, wie auch langsam die Restwärme aus dem Körper aus meiner Mutter wich.
Als der Tränenfluss nach einer gefühlten Ewigkeit stoppte, taumelte ich etwas nach hinten, meine Augen schon fast wund vor Tränen, bevor ich mich wieder auf den Boden setzte, die Beine an meinen Körper ziehend, bevor ich meinen funktionierenden Arm um diese legte und meine Stirn gegen die Knie presste. Weinen könnte ich jetzt nicht mehr, wahrscheinlich waren meine Tränendrüsen schon vollständig vertrocknet und mein Kopf kam mit der ganzen Situation in diesem Moment so oder so nicht mehr zurecht. Mein linker Arm war hinüber, meine Mutter war dahingerafft und mir selbst ging es ja auch kein Stückchen besser.
Es verging eine ganze Weile, bis ich mich wieder dazu durchrang, meinen Hintern vom Boden zu bewegen, um mich etwas in der Stadt umzugucken. Würde ich auch nur eine Minute länger hier bleiben, dann würde ich nur wieder weiter heulen. Schließlich hing meine tote Mutter da direkt vor mir und auch wenn das Lächeln noch auf ihren Lippen war, diesen Anblick kann schließlich kein Kind wirklich ertragen, aber ich müsste ja auch irgendwas gegen die Verletzungen machen.
„Schlaf gut, Mama“, meinte ich mit einem traurigen Lächeln, bevor ich mich abwandte und durch das riesige Loche in der Hauswand auf die Straße ging. Die Straßen sahen nicht grade schöner aus. Überall konnte man allerlei Leichenteile sehen, zerquetschte Kinder, zersprengte Rentner, alles mögliche, was nur dafür sorgte, dass man seinen Mageninhalt bald wiedersehen würde, aber wirklich viel war ja nicht in meinem Magen.
„Am besten gehe ich zum Supermarkt“, murmelte ich in mich hinein und ging in langsam gemäßigtem Tempo durch die Straßen meiner eigentlich geliebten Heimatstadt. Aber wirklich gehen konnte man es nicht nennen, da ich meinen Körper eher durch die Straßen schleppte, immer wieder mal auf keuchend.